»In vino veritas!«

Das ist der wohl bekannteste und am häufigsten zitierte Sinnspruch zum beliebten Rebensaft. Doch der Wein inspiriert das Menschenhirn zu weit mehr geflügelten Worten als diesem!

   

   

»Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!«

Theodor Storm (1817-1888), Oktoberlied
   

Ob auf Lateinisch oder auf Deutsch: »Im Wein liegt die Wahrheit!« Diese Weisheit besagt schlicht, dass betrunkene Menschen meist ehrlicher sind und ihren wahren Gefühlen eher nachgeben als nüchterne. Erstmals wurde diese zeitlose Erkenntnis von dem griechischen Dichter Alkaios von Lesbos (630-580 v. Chr.) in Worte gefasst. Die Römer konnten diese – von Plinius dem Älteren (ca. 23-79 n. Chr.) inzwischen in die lateinische Landessprache übersetzte – Einsicht dann nur bestätigen. Ihr Historiker Tacitus (ca. 58-120 n. Chr.) beobachtete zum Beispiel, dass die Germanen bei ihren Ratsversammlungen stets fleißig Wein tranken; denn sie glaubten, dass niemand erfolgreich lügen könne, wenn er betrunken sei.

   

   

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Viele Jahrhunderte später brachte der Isolani in Schillers Piccolomini (1799) das dann noch einmal in etwas anderen Worten auf den Punkt: »Der Wein erfindet nichts, er schwatzt nur aus.« Friedrich Hebbel (1813-1863) dagegen wusste zu ergänzen: »Im Wein liegt Wahrheit – und mit der stößt man überall an.« Ein unbekannter Weinkenner (heutiger Zeit wahrscheinlich) sieht das dann noch ein wenig anders: »Im Wein liegt die Wahrheit – der Schwindel steht auf dem Etikett!« Sehr viel Wahres ist – der praktischen Erfahrung nach – auf jeden Fall an den folgenden drei deutschen Sprichwörtern dran:


»Je stärker der Wein, je schwächer das Bein.«

»Beim Wein geht die Zunge auf Stelzen.«

Und: »Ist der Wein im Manne, ist sein Verstand in der Kanne.«

   

   

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Wasser in Wein verwandeln? Das ist ganz einfach!


Auch dann, wenn wir »jemandem reinen Wein einschenken«, sagen wir ihm offen und unverblümt die ganze Wahrheit – so unangenehm sie auch sein mag. Anlass zu dieser Redewendung gaben jedoch nicht die Weintrinker selbst, sondern deren Wirte. Vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert hinein war es in Gasthäusern nämlich durchaus üblich, den ausgeschenkten Wein mit Wasser zu verlängern oder anderweitig zu verpanschen. Nur grundehrliche Gastwirte servierten wirklich unverfälschten, reinen Wein.

Da verwässerter Wein natürlich längst nicht mehr so berauschend wirkt wie der reine Rebensaft, wird auch verständlich, warum wir jemandem »Wasser in den Wein gießen«, wenn wir seine hochfliegenden Pläne kritisieren und so die Begeisterung erheblich dämpfen.

   

Aus Alt mach Neu?


So recht mit rechten Dingen geht es aber auch nicht zu, wenn man entweder »alten Wein in neuen Schläuchen« anbietet – oder umgekehrt »jungen Wein in alte Schläuche füllt«. Wenn man also entweder alte Inhalte nur neu benennt und verpackt – oder aber Neuerungen nur halbherzig in alte Strukturen einfügt. Kurz: Wenn man keine echten, grundlegenden Reformen wagt, sondern ein Täuschungsmanöver betreibt.

Diese Wendungen stammen aus biblischen Zeiten, als der Wein noch nicht in Fässern und Flaschen, sondern in Schläuchen aus zusammengenähten Ziegenfellen aufbewahrt wurde. Sie geht auf ein von Matthäus (9,17), Lukas (5,37). und Markus (2,22) überliefertes Gleichnis zurück, das sich – isoliert betrachtet – fast wie ein Praxistipp für Winzer liest: »... niemand fasst Most in alte Schläuche; sonst zerreißt der Most die Schläuche, und der Wein wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. Sondern man soll Most in neue Schläuche fassen.«

   

   

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Wein, Weib und Gesang


Da wir gerade bei der Bibel sind – Martin Luther (1483-1546) soll gesagt haben: »Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Thor sein Leben lang.« Andererseits soll er aber auch gesagt haben: »Der Wein und die Weiber bringen manchen Jammer und Herzeleid, machen viele zu Narren und zu wahnsinnigen Leuten.«

Was denn nun? Wahrscheinlich bringt einen die Übersetzung der Heiligen Schrift etwas durcheinander? Denn da steht ja auch einerseits: »Der Wein erfreut des Menschen Herz.« (Psalm 104,15) Und andererseits: »Berauscht euch nicht mit Wein – das macht zügellos –, sondern lasst euch vom Geist erfüllen!« (Epheser 5,18)

Dichterfürst Goethe (1749-1832) jedenfalls hatte zum Thema wohl eine durchgängig positive Einstellung, die man ungefähr so zusammenfassen könnte:


»Ein Mädchen und ein Gläschen Wein sind die Retter in der Not,

denn wer nicht trinkt und wer nicht küßt, der ist so gut wie tot.«

»Ohne Wein und ohne Weiber,
hol' der Teufel uns're Leiber!«

»Für Sorgen sorgt das liebe Leben
Und Sorgenbrecher sind die Reben.«
   

Der humoristische Zeichner und Dichter Wilhelm Busch (1832-1908) ist da prinzipiell d'accord. Sein Frühlingslied verkündet:


»Wer als Wein- und Weiberhasser

Jedermann im Wege steht,
Der genieße Brot und Wasser,
Bis er endlich in sich geht.«
   

Und auch an die Altersversorgung hat Herr Busch (in den Abenteuern eines Junggesellen) gedacht:


»Rotwein ist für alte Knaben

eine von den besten Gaben.«
   

Denn schon die gesundheitsbewusste Benediktinerin Hildegard von Bingen (1098-1179) empfahl:


»Der Wein – maßvoll genossen – heilt und erfreut den Menschen zutiefst durch seine große Kraft und Wärme.«

   


Vielen Dank für Ihr Interesse! Der Text, den Sie gerade gelesen haben, ist die – in voller Länge exklusiv auf dr-michaela-mundt.de veröffentlichte – »Extended Dance Version« zu einem deutlich knapper gefassten Beitrag zum Thema Redensarten, der im Auftrag der Kieler Werbeagentur WortBildTon GmbH entstanden und im Oktober 2013 – sehr amüsant von Gerrit Hansen illustriert – im mein coop magazin erschienen ist.

Ich widme diesen Beitrag meinem lieben Schulfreund Pezy in Kaufbeuren, mit dem ich mich leider viel zu selten auf ein Gläschen treffen kann.

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