Ein Satz – 2 x 4 Bedeutungen!

Das Kommunikationsquadrat nach Friedemann Schulz von Thun hilft uns dabei, einander besser zu verstehen.
  

 

Um Ecken und Kanten gedacht ...

 

Der Austausch von Mensch zu Mensch ist eine sehr komplexe und oft recht komplizierte Angelegenheit. Doch wer die grundlegenden Mechanismen der zwischenmenschlichen Kommunikation kennt, der versteht seinen Gesprächspartner gleich viel besser.

 

Mit seinem „Kommunikationsquadrat“ hat der Psychologe Friedemann Schulz von Thun bereits in den 1970ern ein Denkmodell entwickelt, das uns hilft, uns bewusster miteinander zu verständigen. Dieses auch als „Vier-Seiten-Modell“ oder „Vier-Ohren-Modell“ bekannte Interpretationsmuster ist ein (in meinen Augen nach wie vor unübertroffener) Klassiker der Kommunikationspsychologie, dem ich bereits in verschiedenen Magazinbeiträgen* mein „Liebeslied“ gesungen habe. Hier nun können Sie sich auf die „Extended Dance Version“ zum Thema freuen.

Schulz von Thuns Modell berücksichtigt nicht nur die sachbezogenen Informationen, die in einem Gespräch ausgetauscht werden, sondern vor allem auch die Beziehung zwischen den beiden Gesprächspartnern, die dabei zum Ausdruck kommt. Grundidee ist, dass alles, worüber wir so miteinander reden, auf vier verschiedenen Ebenen zugleich „funktioniert“ – und zwar sowohl bei dem, der etwas sagt, als auch bei dem, der ihm zuhört.

4 Aussagen

Wir alle nutzen die Sprache, um Informationen an andere Menschen weiterzugeben; zu den heutigen Wetterprognosen zum Beispiel, zu einen erledigten Arbeitsauftrag oder zu unserer persönlichen Laktoseintoleranz. Hanne Schluder zum Beispiel berichtet ihrer Nachbarin Gerda Ganz-Ohr gerade, dass Frau Kringel eine (schreckliche!) neue Frisur hat. Dies nennt Schulz von Thun die Sachebene einer Aussage. Doch hier zwitschert nur der erste von insgesamt vier kommunikativ sehr aktiven „Schnäbeln“ seinem Gegenüber etwas ins Ohr ...

Denn während wir über etwas sprechen, sagen wir gleichzeitig immer auch etwas über uns selbst aus: darüber etwa, wie wir zu der Sache stehen, von der wir berichten, und was unsere Wertvorstellungen im Allgemeinen ausmacht. Also zum Beispiel: „Ich bin auf dem Laufenden, ich habe die Nachrichten nebst Wetterbericht gesehen“, oder „Ich bin ein zuverlässiger Mitarbeiter!“ oder eben, ganz direkt: „Ich bin laktoseintolerant.“ Und wenn Hanne Schluder Frau Kringels Frisur „einfach schrecklich“ findet, dann meint sie damit – unausgesprochen – gleichzeitig auch: „Ich habe einen viel besseren Geschmack als Frau Kringel!“ (und wahrscheinlich auch: „Ich mag Frau Kringel nicht sonderlich gern …“)

Auch durch die Stimmlage und die Mimik, die unsere Worte begleiten, verraten wir unserem Gesprächspartner allerlei über uns selbst und unsere momentane Laune. Ob wir also wollen oder nicht: Der Schnabel der Selbstkundgabe öffnet sich bei jedem einzelnen Satz, den wir sprechen.

Zugleich beinhaltet eine Äußerung – wiederum gewollt oder ungewollt – immer auch einen Hinweis darauf, wie wir unsere Beziehung zu unserem Gesprächspartner gerade einschätzen. Allein schon durch Wortwahl, Tonfall und Mimik bringen wir zum Ausdruck, wie wir zum anderen stehen und was wir von ihm halten. So signalisiert Hanne Schluder Gerda Ganz-Ohr etwa: „Wir beide würden natürlich nie mit einer so grausligen Frisur herumlaufen!“ und damit auch: „Du hast ebenfalls einen besseren Geschmack als Frau Kringel!“

Ein vierter Schnabel schließlich öffnet sich auf der sogenannten Appellebene: Wer einen anderen Menschen anspricht, will normalerweise immer auch irgendetwas bei diesem bewirken, ihn also dazu veranlassen, auf eine bestimmte Weise zu denken, zu fühlen oder zu handeln: „Geh nie zu Frau Kringels Friseur!“ etwa, oder: „Erzähl mir auch ein bisschen Tratsch!“

Appelle können offen als Wunsch, Ratschlag oder Handlungsanweisung geäußert, aber auch versteckt werden. So bedeutet die sachliche Feststellung „das Bier ist alle“ meistens ja in erster Linie: „Geh mir bitte ein neues holen!“

4 Deutungen

Mit jedem einzelnen Satz sagen wir also vier Dinge gleichzeitig. Und unser Gesprächspartner hört umgekehrt auch vier Dinge zugleich.

Er übersetzt für sich auf der Sachebene: Welche inhaltliche Information habe ich da gerade bekommen? War das verständlich? Ist das wahr oder unwahr, falsch oder richtig, wichtig oder nichtig? Ist dem noch etwas hinzuzufügen oder nicht? (Gerda Ganz-Ohr prüft nach: „Ja, mit rot-blond-gesträhnten Haaren sieht Frau Kringel wirklich fürchterlich aus! Aber die braunen Locken vorher standen ihr auch nicht sonderlich gut.“)

Doch der Zuhörer spitzt zugleich auch sein „Selbstkundgabe-Ohr“, um herauszufinden, was das Gesagte über den dies Sagenden aussagt: Was ist das für eine/r? In welcher Stimmung ist er/sie gerade? Was hält er/sie von sich selbst? („Aha, Hanne Schluder lästert also gern über andere! Das scheint ihr ja so richtig Spaß zu machen", vermutet Gerda Ganz-Ohr, „aber von ihrer eigenen Frisur ist sie scheinbar wohl hundertprozentig überzeugt?“)

Für den in jeder Aussage enthaltenen Beziehungshinweis haben wir oft ein ganz besonders sensibles (und manchmal auch etwas überempfindliches!) Ohr: Wie fühle ich mich durch die Art und Weise behandelt, in der er/sie mit mir spricht? Was hält er/sie demnach von mir? Was bedeute ich ihm/ihr also? („Von mir hält Hanne Schluder wohl mehr als von Frau Kringel! Sonst würde sie mir das ja nicht anvertrauen. Oder tratscht sie mit anderen Nachbarn dann etwa über mich herum?“)

Das Appell-Ohr schließlich reagiert auf die Frage: Wozu will er/sie mich dadurch veranlassen? Was soll ich jetzt also tun, denken oder fühlen? (Gerda Ganz-Ohr überlegt z. B., ob sie nun ihrerseits auch noch über Frau Kringels komischen blauen Mantel herziehen sollte? Oder lässt sie, um etwas Abwechslung ins Gespräch zu bringen, im Gegenzug nun doch lieber kein gutes Haar an Frau Stoppels neuer Frisur?)

Eine grüne Ampel hat viel zu sagen!

Jeder Gesprächspartner teilt sich also gleichzeitig mit vier „Schnäbeln“ mit und hört dem anderen mit vier Ohren zugleich zu. Und das immer abwechselnd. Dadurch ergeben sich natürlich jede Menge Möglichkeiten, einander gut oder eher etwas miss zu verstehen.

Um das klassische Beispiel für ein mit Schulz von Thun im Quadrat gedachtes Gespräch mitzuerleben, stellen Sie sich einfach die folgende Situation vor: SIE sitzt im Auto am Steuer und ER auf dem Beifahrersitz. ER sagt: "Du, die Ampel da vorne ist grün."

 Was sagt ER damit aus? SIE spitzt alle vier Ohren: „Dein Mann sieht, dass gerade noch grün ist“, übersetzt das Sach-Ohr. „Fahr zu!“ hört das Appell-Ohr. „ER hat es eilig“, vermutet das Selbstkundgabe-Ohr (und wird gleichzeitig auch darüber informiert, dass ER nicht farbenblind ist, aber das wusste SIE schon.). Doch ihr Beziehungsohr kann recht verschiedene Dinge wahrnehmen: Hat ER etwa gerade gesagt: „Ich traue deinen Fahrkünsten nicht. Ich bin der bessere Autofahrer von uns“? Oder: „Hey, du Trödeltrina, du machst mich (mal wieder!) sehr ungeduldig“? Oder wollte er im Kern eigentlich zum Ausdruck bringen: „Wir unterstützen uns gegenseitig, ich helfe dir gern bei dem, was du tust. Du mir auch?“

Je nach dem, auf welches ihrer Ohren SIE am liebsten hört und was sie als die entscheidende Aussage aufgefasst hat, wird sie nun anders reagieren. Vielleicht hält sie sich an den Appell und fährt wortlos schneller, oder sie sagt „Genau, grüne Welle“ auf der Sachebene und „Danke“ auf der Beziehungsebene. Vielleicht prüft sie mit der Frage „Bist du in Eile?“, ob sie seine Selbstkundgabe richtig verstanden hat. Oder sie faucht: „Fährst du oder fahre ich? Du verflixter ‚Frauen-sollten-überhaupt-nicht-Auto-fahren-Macho!“, weil ihr Ohr für negative Beziehungsbotschaften dann doch das größte war.

Egal, was SIE auch sagt; nun ist ER an der Reihe, ihre Worte in allen vier Ecken des Kommunikationsquadrats zu deuten und darauf seinerseits zu reagieren. Und je nach dem, für welche Antwort er sich dann entscheidet, hat er die Chance, auf einer vorwiegend sachlichen Ebene zu bleiben (bzw. dahin zurückzukehren) – oder einen gerade keimenden Konflikt so richtig schön eskalieren zu lassen.

Große und kleine Ohren

Das Wissen um Schulz von Thuns Modell sorgt sicher nicht dafür, dass wir fortan frei von Streiterei durchs Leben gehen. Doch wir können uns mit seiner Hilfe (gegenseitig) besser bewusst machen, wo die Wurzeln unerfreulicher Missverständnisse liegen könnten. Zum Beispiel darin, dass der „Hauptschnabel“ des einen und das „Hauptohr“ des anderen konsequent aneinander vorbeireden und -hören?

Viele Menschen haben, meist unbewusst, gewisse „Lieblingsebenen“, auf denen sie Aussagen machen oder interpretieren. Und daraus können sich schon gewisse Unstimmigkeiten ergeben. Zum Beispiel dann, wenn der Schnabel des einen eigentlich in erster Linie auf der Sachebene zwitschern wollte, der andere ihm aber hauptsächlich mit einem riesengroßen Beziehungsohr zuhört. Oder auch umgekehrt:

Wer auf die Worte „Ich liebe dich!“ prompt zu Ausführungen über die hormonellen Hintergründe solcher Gefühle ansetzt, würgt die gemeinte Beziehungsnachricht recht schmerzhaft von der nüchternen Sachebene her ab ... und sollte vielleicht schon dringend auch einmal seine übrigen drei Schnäbel und Ohren trainieren?

Virtuell und nonverbal

Die vier Schnäbel und die vier Ohren sind nicht nur im „leibhaftigen“ Face-to-Face-Gespräch aktiv; sie funktionieren ebenso am Telefon oder – mit einer kleinen zeitlichen Bedenkpause dazwischen – per E-Mail beziehungsweise in und zwischen den Zeilen eines schön altmodischen Briefes. Jeder kleine Post via WhatsApp, Facebook, Twitter und co bringt auf beiden Seiten alle vier Ebenen ins Spiel; und die süßen kleinen Emoticons, die das Gemeinte eigentlich präzisieren sollen, kann man letztendlich genauso vieldeutig interpretieren wie mimische oder gestische Signale „vor Ort“.

Kurz: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ sagt ein weiterer Kommunikationspsychologe, nämlich Paul Watzlawick. Auch wenn wir uns in tiefstes Schweigen hüllen, teilt unsere Gestik, Mimik und Körpersprache (oder eben gerade die ausbleibende Antwort) unserem Gegenüber auf jeden Fall etwas mit. Und was es da – sozusagen mit dem Sach-, dem Beziehungs-, dem Selbstkundgabe- und dem Appell-Auge – wahrnimmt, wird ebenso wie unsere Worte mehr oder weniger treffsicher interpretiert.


  

Mehr zum Originalmodell erfahren Sie im Schulz von Thun Institut für Kommunikation.

* Zuletzt schrieb ich zum Kommunikationsquadrat für „Unser Felde – das illustrierte Magazin für die Region“ (Wolfgang Körner Verlag, Dezember 2016), und vor einigen Jahren im „mein coop magazin“ (Ausgabe März 2007, S. 46-47).

Ich widme diesen Text meiner im Frühjahr 2015 verstorbenen Mutter, von der ich mehr über das „Miteinander reden“ gelernt habe als von jedem anderen Menschen.

Text, Fotos und Illustrationen: © Michaela Mundt

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