Seemannsgarn

Um Maritimes in den Mund zu nehmen, braucht man nicht unbedingt ein eingefleischter Seebär zu sein. Auch Landratten können mit wenigen Worten große Wellen schlagen!

Wer sich irrt und falsche Vorstellungen vom Ziel seiner Reise hat, könnte natürlich einfach in den falschen Zug einsteigen. Oder in das falsche Flugzeug.

Sprichwörtlich aber ist er dann auf jeden Fall »auf dem falschen Dampfer«!

Auch wenn der Seeweg – zumindest als Reise- und Entdeckungsweg – heute längst nicht mehr die Bedeutung hat, die ihm früher zukam, so bleibt es doch dabei:

Seefahrt tut Not! Auch in der Sprache.   

So zum Beispiel dann, wenn wir jemanden für ein Projekt »mit ins Boot holen« beziehungsweise »anheuern«. Oder dann, wenn wir ihm im Gegenteil »volle Breitseite vor den Bug schießen«, ihn also sehr heftig verprellen; wobei mit »Breitseite« das gleichzeitige Abfeuern aller an einer Schiffsseite befindlichen Kanonen gemeint ist, die am »Bug« dann das vordere Schiffsende, also sozusagen das »Gesicht« des Gegners empfindlich treffen sollen.

 

Aufgetakelt und abgetakelt …   

Wer findet, dass sich eine bestimmte Dame zur Party aber gewaltig »aufgetakelt« hat, spielt damit auf die eindrucksvolle Takelage historischer Großsegler an, zu der sämtliche Masten und Segel nebst Tauwerk sowie das gesamte sonstige Inventar gehört. Wenn die besagte Dame also auf einen Schlag gleich alles ausfährt, was sie zu bieten hat – dann ist es doch durchaus verständlich, dass man(n) sich daraufhin lieber »abseilt« (also verdrückt), oder? Im Geiste auf See sind aber auch diejenigen, die 2009 die »Abwrack-Prämie« für ihr altes Auto kassierten, oder die, die zwecks Problemlösung beruflich oder privat endlich »klar Schiff« machen wollen.

Müde Web-Wellen machen mallig  

Wenn dagegen der Computer nur noch »herumdümpelt« und so lahm über die Wellen des World-Wide-Web gleitet wie ein Fischerboot vor Anker, dann sollte man ihn dringend wieder »flott«, also »frei schwimmend« machen – und endlich von dem schlickigen Meeresgrund uralter Dateien und Apps oder Cookies lösen, auf denen er gerade festsitzt! Andernfalls nämlich könnten wir bald ziemlich »auf dem Teller drehen« (was in der Seemannssprache das Wenden eines Schiffes auf sehr engem Raum oder auf der Stelle bezeichnet) – und darüber vielleicht sogar »völlig mallig«, also komplett planlos werden? Auf dem Meer bekommt man es oft mit den sogenannten »mallen Winden« zu tun, die urplötzlich umspringen und aus einer ganz anderen Richtung wehen.

»Ich habe meine Äquatortaufe bestanden!«

Damit haben wir auf jeden Fall eine sehr erfreuliche Station im Leben erreicht, die besagt, dass wir uns erfolgreich in ein uns bisher völlig fremdes Terrain vorgewagt und eine wichtige Prüfung des Lebens erfolgreich absolviert haben. Dahinter steckt der alte Seemannsbrauch, jedes Mitglied der Besatzung, das zum ersten Mal den Äquator überfährt, in einem oft eher derben und stark alkoholisierten Ritual vom (entsprechend kostümierten) Meeresgott Neptun »taufen« zu lassen.

Manchmal offenbart man mit einem Zitat aus der Seemannssprache durchaus seine Lust, an die früher oft wahrlich rauen Bräuche dieser beruflichen Sparte anzuknüpfen: Wenn wir jemanden am liebsten »kielholen« wollen, dann laden wir ihn nicht etwa freundlich in die Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins ein, nein: Wir schleifen ihn gedanklich stattdessen unter Wasser an einem Seil den Kiel, also die unterste Längsversteifung des Schiffes entlang – was auf den alten Segelschiffen eine durchaus gängige Form der Bestrafung war, die für so manchen Delinquenten leider tödlich ausging.

Über alle Toppen geflaggt   

Sehr maritim geht es in unseren Redewendungen auch dann zu, wenn wir »Flagge zeigen«, also unsere wahre Meinung sehr offen und nachdrücklich äußern, während die, die sich davor drücken, selbst Verantwortung zu übernehmen, lieber »unter fremder Flagge segeln«. Die am Mast gehissten Flaggen machen in der Seefahrt auf einen Blick deutlich, zu welchem Land und zu welcher Reederei ein Schiff gehört. Wer also »unter falscher Flagge segelt«, täuscht eine Identität vor, die ihm nicht zukommt. Wer dagegen »die Flagge streicht«, also vom Mast herunterholt, gibt sich in bester Seeschlachtentradition in einem Kampf geschlagen. Um »die Segel zu streichen«, also einzuziehen und die Weiterfahrt aufzugeben, reicht dem versierten Segler allerdings oft auch schon ein herannahender Sturm.

Ganz genau genommen!   

Nahende Unwetter und vieles mehr erkennt der Seebär durch sein Fernrohr, in nautischen Fachkreisen auch »Kieker« genannt. Wenn Sie also vermuten: »Der hat mich auf dem Kieker!«, weil Sie sich schon länger sehr gründlich und misstrauisch beobachtet fühlen, ganz so, als suche Sie jemand systematisch nach Kritisierbarem ab – dann sprechen Sie gleichzeitig Redensartlich, Seemännisch und Plattdeutsch: »Kieker« kommt nämlich vom niederdeutschen »kieken« für »gucken«.

Das Plattdeutsch der nördlichen Küstenbewohner gehört an Bord sowieso zum guten Ton: Hier wird nicht aus der Flasche, sondern aus der »Buddel« getrunken, und man sticht auch nicht mit einem Koffer, sondern mit dem »Zampelbüdel« in See, indem man all seine Habe in einen großen Seesack aus Leinen stopft. Doch passend zur meist aus aller Herren Länder zusammengewürfelten Schiffsbesatzung mischten sich auch zahlreiche Versatzstücke aus dem Englischen, Niederländischen oder Spanischen in die bis heute übliche Seemannssprache ein. So entstand ein Jargon mit einem ganz eigenen Humor – und auch mit einer ganz eigenen Vorstellung von Wahrheit?

Nicht so ganz genau genommen … 

Wer »Seemannsgarn spinnt«, erzählt ausgesprochen spektakuläre und abenteuerliche Geschichten, bei denen man nicht so recht weiß, ob man sie glauben soll oder nicht. Solche Geschichten müssen sich nicht zwingend um Seeungeheuer, Geisterschiffe oder Klabautermänner drehen; auch Berichte über UFO-Sichtungen oder die allseits bekannte, in einer Yucca-Palme ins Haus gebrachte Vogelspinne sind aus diesem Garn gesponnen.

Ursprünglich allerdings spannen die Seeleute »Schiemannsgarn«. Das ist ein dünnes, geteertes Hanfgarn, das auf Segelschiffen zum Umwickeln von Spleißen im Tauwerk verwendet und aus alten Tauen gewonnen wird. Weil die Herstellung des Schiemannsgarns eine recht langweilige und monotone Tätigkeit war, erzählte man sich dabei gern allerlei Selbsterlebtes, aber auch Sagen und Legenden. Oft ging das Eine fließend in das Andere über ... und speziell »Landratten« fällt es oft alles andere als leicht, hier eine klare Grenze zu ziehen.

Die weiche Welt der Wellen ist eben eine andere als der harte Boden der Tatsachen!


see9 credits ma - webVielen Dank für Ihr Interesse! Diese »Extended Dance Version« eines im Juni 2013 im mein coop magazin in der Rubrik Sprichwörter und Redewendungen erschienenen Artikels widme ich meinem Vater, der in seiner langen, wellenbewegten Laufbahn vom Matrosen bis zum Kapitän immer wusste, was er sagt.


Fotos: © Michaela Mundt, © Elmar Spanehl (Bild 2+4), © Martin Mundt (Bild 8) – Vielen Dank!

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