Gut gebrüllt, Löwe?

Wer »die Höhle des Löwen« (also die Chefetage) bewohnt, der bekommt automatisch den »Löwenanteil« des Kuchens ab? Jahrtausendealte Tierfabeln sind auch heute noch in aller Munde.

 

loewe web bFabelhaft!

Majestätische Löwen können wir nicht nur im Zoo oder auf zahlreichen Wappen bewundern. Sie melden sich auch in sprachlichen Bildern zu Wort, die oft von den Tierfabeln des antiken Dichters Aesop inspiriert wurden.

Tiere wie du und ich

Aesop, der als Begründer der europäischen Fabeldichtung gilt, lebte im 6. Jahrhundert vor Christus in Griechenland. Die ihm zugeschriebenen Fabeln wurden zunächst nur mündlich überliefert und sind daher in zahlreichen Varianten bekannt. Fabeln sind kurze Erzählungen mit belehrender Absicht, in denen Tiere, aber auch Pflanzen, Dinge und andere wunderliche Wesen reden und handeln. Zumeist werden dabei in der Pointe menschliche Schwächen wie Eitelkeit, Neid, Dummheit, Geiz und ähnliches humorvoll entlarvt, aber nicht verurteilt.

In den Klosterschulen des Mittelalters waren Aesops Fabeln ein beliebter Lesestoff, und später schlüpften dann unter anderem Martin Luther, Hans Sachs, Jean de La Fontaine und Gotthold Ephraim Lessing in die Rolle des Fabeldichters. Im Laufe der Zeit erhielt der Löwe, der sich in vielen Fabeln besonders hervortut, dabei den stolzen Namen »Nobel«.

Grundsätzlich beansprucht der fabelhaft noble »König der Tiere« schon eine gewisse Sonderstellung für sich. So inszeniert sich der moderne »Partylöwe« zum Beispiel – genau wie sein Vorfahr, der »Salonlöwe« – gern attraktiv und elegant als umschwärmter Mittelpunkt jeder Geselligkeit.

 

loewe web 800 cDie königliche Anteilnahme

Wer heute »den Löwenanteil für sich beansprucht«, also das meiste vom Kuchen, vom Gewinn oder Ähnlichem haben will, ist gemessen an Aesops Fabellöwen jedoch geradezu bescheiden; denn der wollte damals noch alles für sich. Wie in mehreren Varianten überliefert:

Die Geschichte Der Löwe mit anderen Tieren auf der Jagd berichtet, dass der Löwe einst gemeinsam mit drei anderen Tieren auf die Jagd ging und einen Hirsch erlegte. Diesen zerteilte er dann in vier gleiche Teile und sagte:

»Der erste Teil gehört mir, weil ich der Löwe, euer König bin; der zweite Teil ist mein, weil ich von uns allen das größte Herz habe; den dritten müsst ihr mir als dem Stärksten überlassen – und den, der mir den vierten Teil streitig machen will, den werde ich auf der Stelle verschlingen!«

In der Fabel Der Löwe, der Fuchs und der Esel dagegen geht man nur zu dritt auf die Jagd. (Wie auch immer Aesop auf die Idee gekommen ist, dass Esel jagen? Nun ja, er brauchte wohl einen Dummen ...) Als der Esel die Beute nach getaner Tat dann – wie vorher abgesprochen – in drei gleiche Haufen teilt und dem Löwen als erstem die Wahl überlassen will, zerfleischt ihn dieser wutentbrannt. Dann beauftragt er den Fuchs mit einer gerechteren Teilung. Der Fuchs legt die gesamte Beute auf einen einzigen großen Haufen, den er dann dem Löwen übergibt.

»Wer hat dich so gut teilen gelehrt?« fragt der Löwe da erfreut.
»Das Schicksal des Esels«, antwortet der Fuchs.

Die »Societas leonina« beziehungsweise der Leoninische Vertrag oder die Löwengesellschaft, die in der Rechtssprache eine Gesellschaft bezeichnet, bei der zwar alle Gesellschafter das Risiko tragen, aber nur ein einziger Gesellschafter den Gewinn ausgeschüttet bekommt, geht wahrscheinlich ebenfalls auf diese Fabel vom raffgierigen Löwen (= lateinisch: »leo«) zurück.

 

loewe web 800 dHinterlistiges aus der Höhle

Auch davon, sich »in die Höhle des Löwen zu wagen«, kann uns der »Schlaufuchs« nur abraten:

Als der Löwenkönig alt und schwach geworden war und nicht mehr selbst jagen konnte, ließ er alle Untertanen in seinen »Palast« rufen, um vor seinem Tode Abschied zu nehmen, berichtet Aesop. Brav gingen die Tiere also nacheinander in des Löwen Höhle – doch keines kehrte daraus zurück. Dass man diesen Weg nicht lebendig übersteht, das erkannte nur der Fuchs noch rechtzeitig an den Fußspuren vor dem Eingang, die nur in eine Richtung führten – und sah daraufhin klugerweise von einem Besuch bei Ihro Majestät ab.

Heute sind unsere Überlebenschancen bei einem Besuch in modernen Löwenhöhlen wie dem Büro des Chefs zwar deutlich besser – doch kluge Menschen folgen dennoch lieber Arthur Schopenhauers Rat:

»Wer sich nicht mit der Löwenhaut bekleiden kann, der nehme einen Fuchspelz.«

 

loewe web 800 eDie königliche Ausnahme

Zur Ehrenrettung des Löwenkönigs (der ja nun einmal ein Raubtier ist!) sei jedoch erwähnt, dass er seine Untertanen nicht prinzipiell und generell verschlingt. In der Fabel Der Löwe und das Mäuschen etwa tänzelt eine Maus versehentlich über einen schlafenden Löwen und weckt ihn auf. Unwirsch schnappt er sie daraufhin mit seinen Pranken, doch er lässt sie großmütig wieder frei, als die Maus ihn anfleht:

»Bitte verzeih meine Unachtsamkeit und lasse mich am Leben! Ich will dir dafür auch ewig dankbar sein!«

Der stolze Löwe kann sich natürlich absolut nicht vorstellen, wie ein so lächerlich winziges Mäuschen ihm wohl seine Dankbarkeit zeigen will. Doch das erfährt er schon bald darauf, als er sich hoffnungslos in einer Netzfalle verfangen hat. Da nämlich eilt die Maus sogleich herbei und knabbert so lange an den Knoten des Netzes, bis sich der Löwe befreien kann.

Und die Moral von der Geschicht'?

Im »Mausepelz« kommt man beim Chef am allerbesten an!
   


Vielen Dank für Ihr Interesse am stolzen Löwen!

Der Text, den Sie gerade gelesen haben, ist sozusagen die »Extended Dance Version« zu einem deutlich knapper gefassten Beitrag zum Thema Redensarten, der im Auftrag der Kieler Werbeagentur WortBildTon GmbH entstanden und im August 2013 – sehr amüsant illustriert von Gerrit Hansen – im mein coop magazin (S.93) erschienen ist.

Ich widme diesen Beitrag meinem Neffen Lu, in dessen Spielhöhle ich mich immer wieder gerne wage – und allen anderen mir lieben Menschen, die zwischen dem 22. Juli und dem 24. August Geburtstag feiern!


 Lust auf mehr zum Fuchs?

»Fuchsteufelswild« wurde der fabelhafte Herr Reineke bereits im mein coop magazin vom September 2011, und zwar in folgendem Zusammenhang: Feuerrote Wesen wie Eichhörnchen oder Füchse galten früher als Tiere, die »des Teufels« sind. Wenn also jemand »fuchsteufelswild« wird, benimmt er sich einerseits wie ein tollwütiger Fuchs (tollwütig wurde regional auch »fuchswild« genannt) – und andererseits hat er ja sowieso schon »den Teufel im Leib«! Was es dagegen mit den »Federfuchsern« auf sich hat, das können Sie im Special Tierisch treffsicher vom Mai 2019 nachlesen.

Lust auf mehr zur Maus?

Oft wird vermutet, dass die Redensart »da beißt die Maus keinen Faden ab« auf die Fabel Der Löwe und das Mäuschen zurückgeht. Das aber steht so unabänderlich nicht fest, denn zur Herkunft dieser Redewendung gibt es verschiedene Theorien. Eine andere Deutung zum Beispiel lässt die Mausefallen zuschnappen. Diese nämlich hatten früher statt des Käses einen Faden als Köder, den die Mäuse für eine Pflanzenwurzel hielten und anknabberten. Wieder eine andere Interpretation sieht hier eine Verbindung zur Heiligen Gertrud von Nivelles gegeben, die im Mittelalter als Schutzpatronin vor Mäuse- und Rattenplagen verehrt wurde. Ihr Namenstag, der 17. März, galt nach dem Bauernkalender als Frühlingsanfang. Zu diesem Termin wurde mit der Feldarbeit begonnen, winterliche Arbeiten wie das Spinnen dagegen waren einzustellen. Und wer sich nicht daran hielt? Dem biss die Maus energisch den Faden ab!

Oder interessiert Sie der Löwe eher aus astrologischer Sicht?

Dann schauen Sie doch einmal bei den Tierkreis-Infos vorbei!
   

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