Lenz, Lust und Liebe ...

Frühlingsgefühle? Ist das alles nur poetische Fantasie, nur ein romantisches Märchen? Oder biologisch Fakt? Was sagt die Wissenschaft dazu?

   

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Die Natur erwacht.
Überall grünt es – oder blüht sogar sehr farbenprächtig.
Die Vögel zwitschern.
Die Sonne gewinnt an Kraft.
Die Tage werden immer heller und wärmer ...

Parks laden zu Spaziergängen, Straßencafés zum Verweilen ein ... und hier tummeln sich dann turtelnd all die Liebespärchen, die ab März ja alljährlich wie die Pilze aus dem Boden schießen ...

   

   

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Ob von den Minnesängern des Mittelalters, von den Dichtern der Romantik oder in aktuellen Schlagern oder Fernsehbeiträgen: Seit jeher wird der Frühling mit inbrünstiger Überzeugung als die Jahreszeit der Liebe schlechthin gefeiert. Doch warum sollen unsere Gefühle eigentlich gerade jetzt ganz besonders in Wallung kommen? Na ja, the birds and the bees, the flowers and the trees ...

   

   

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Die Hormone kommen ans Licht


Die Endokrinologen (also die Spezialisten für Nervenbotenstoffe und Hormone) haben durchaus interessante Wechselwirkungen zwischen den zunehmend heller werdenden Tagen und dem Hormonhaushalt von Mensch und Tier herausgefunden: Wenn wir im Frühling vor Lust und Liebe nur so übersprudeln – dann steckt die Zirbeldrüse dahinter.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit unseren Frühlingsgefühlen begann in den 1950er Jahren, als die Funktion der Zirbeldrüse an der Harvard-University von Mark Altschule und Julian Kay erstmals gründlich erforscht wurde. Dieses winzige Organ zwischen den beiden Gehirnhälften (in dem der Philosoph Descartes übrigens schon rund 300 Jahre zuvor den Sitz der menschlichen Seele vermutet hatte) beeinflusst unter anderem die männlichen und die weiblichen Genitalfunktionen.

Etwas später fand man auch heraus, dass ein bestimmtes Hormon der Zirbeldrüse, das Melatonin (das nicht nur die Hautpigmentierung beeinflusst, sondern auch müde macht und die sexuelle Erregbarkeit drosselt), vom Körper ausschließlich bei Dunkelheit produziert wird. Je mehr Sonnenlicht und Wärme wir also tanken, desto weniger schläfriges Melatonin wird in uns ausgeschüttet.

Andere Hormone und Nervenbotenstoffe (Neurotransmitter) dagegen reagieren genau umgekehrt: Je heller es wird, desto eifriger machen sie mobil – und sorgen dabei unter anderem für enthusiastische, geradezu rauschhafte Verliebtheitsgefühle und erotische Leidenschaft. Hierzu gehören vor allem die Sexualhormone Testosteron und Östrogen, aber auch so bekannte „Glücklichmacher" wie Endorphin und Serotonin (die man übrigens auch durch Schokoladengenuss oder Jogging auf den Plan rufen kann).

Mit dieser durch das Licht euphorisierten Dosis im Körper sind wir viel schneller voneinander beeindruckt als sonst. Da kann es schon passieren, dass einem der andere rasend viel attraktiver erscheint, als er es – nüchtern betrachtet – eigentlich ist; und wir zu „Mr/Mrs Wrong" statt „Right" greifen?

Doch auch Altvertrautes erscheint jetzt neu und spannend ...

   

   

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Die ganz natürliche Familienplanung


Wenn wir uns dann – so oder so - für einen Partner entschieden haben, schaltet der Körper schon wieder um. Nun sorgt das Kuschel-Schmuse-Hormon Oxytocin, das die Hirnanhangdrüse nach sexueller Aktivität verstärkt ausschüttet, für ein Gefühl der Zufriedenheit, Sicherheit und Geborgenheit – und damit für nachhaltige Bindungsfreudigkeit.

Und warum macht der Körper das alles? Evolutionsbiologen nehmen an, dass der hormonelle Frühlingszauber rein pragmatische Ursachen hat: Er sichert ganz einfach die besten Überlebenschancen. Mit immer länger anhaltendem Tageslicht und immer wärmeren Temperaturen bringt Mutter Natur uns spätestens ab dem Wonnemonat Mai (und dann bis in den August hinein) so sehr in Stimmung, dass deren Folgen, die kleinen „Wonneproppen", dann genau zur rechten Zeit zur Welt kommen – nämlich im Frühling oder Sommer des folgenden Jahres, wenn das Nahrungsangebot am größten ist.

Zudem haben Studien in Großbritannien und Schweden auch ergeben, dass im Frühling oder Sommer geborene Menschen unternehmungslustiger und zufriedener sind als Herbst- und Winterkinder.

   

   

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Frühlingsgefühle? Dafür bin ich zu zivilisiert!


Alles bestens geregelt also? Nicht unbedingt. Der Freiburger Hormon-Experte Prof. Dr. Martin Reincke hält dem die ernüchternde These entgegen, dass das heutzutage leider nicht mehr so funktioniert, wie es ursprünglich einmal geplant war. Die Segnungen der modernen Zivilisation – wie künstliches Licht, das jede Nacht zum Tage macht, und kuschelige Heizungswärme von Oktober bis März – haben die Unterschiede zwischen dem serotoninhellen Sommer- und dem melatonindunklen Winterhalbjahr demnach so vollständig verwischt, dass das natürliche, von diesem Kontrast geleitete Verhalten des Menschen überhaupt nicht mehr zum Tragen kommt.

Gesteuerte Hormoneinnahmen (wie „die Pille"), aber auch winterliche Urlaubsreisen in sonnigere Gefilde täten dann ein Übriges, um unseren Frühlingsgefühlen die Hormon-Power zu nehmen. Lediglich bei den Eskimos im ewigen Eis kämen heute noch echte Frühlingsgefühle auf, meint Reincke.

Also reden wir uns das alles nur ein? Die Lenzeslust ist schon längst kein elementar biologisches Phänomen mehr, sondern nur noch ein kulturelles – das wohl wesentlich enger mit der ab Frühjahr zunehmend luftig leichten, anregenden Bekleidung zusammenhängt als mit der Zirbeldrüse?

Na ja, und wenn schon? Von Herzen genießen dürfen wir diese knisternde Zeit ja wohl trotzdem, oder? Und wer den traditionellen Hochzeitsmonat Mai in diesem Jahr noch für sich nutzen will – der sollte spätestens im März so langsam auf die Suche gehen!

   


Vielen Dank für Ihr Interesse!

Bei dem Text, den Sie gerade gelesen haben, handelt es sich um den exklusiv auf dr-michaela-mundt.de veröffentlichten „directors cut" eines Beitrags, der im März 2008 im mein coop magazin veröffentlicht wurde.

Ich widme dieses Special: Dem Frühling und dem, was er alle Jahre wieder so mit meinen Lebensgeistern anstellt!

Fotos: © Meinhard Siegmundt / pixelio.de (Vogelpaar), S. Hofschlaeger/ pixelio.de (junges Paar), sparkie / pixelio.de (Biene auf Löwenzahn), Luise / pixelio.de (Marienkäfer) und Lea M. / pixelio.de (Paar von hinten). Vielen Dank dafür!

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