Redensarten: Körpersprache
Von Kopf bis Fuß liegen sie uns auf der Zunge … Handliche Sprachbilder, die wir frei von der Leber weg an den Haaren herbeiziehen können.
Die »Körpersprache« ist eine schier unerschöpfliche Fundgrube für anschauliche Redewendungen. Sie ist sogar dann im Spiel, wenn es scheinbar doch um die Wurst geht. Im folgenden kleinen Potpourri habe ich für Sie verschiedene in den Jahren 2008-2014 entstandene Beiträge zum Thema Haare, Augen, Hand und Fuß, Kopf und natürlich Bauchgefühl zusammengetragen – und mit eigenen Illustrationen neu interpretiert.
Haarsträubende Geschichten
Sprichwörtliche Haare kann man »anderen vom Kopf fressen« oder sich »zu Berge stehen« lassen. Man kann daran aber auch etwas »herbeiziehen«, Probleme etwa – oder auch das Glück!
Warum packen wir günstige Gelegenheiten ausgerechnet »beim Schopfe«?
Das haben sich wieder einmal die alten Griechen ausgedacht. An ihrem vielbevölkerten Götterhimmel gab es gleich zwei Sachverständige für die Zeit. Der eine, Chronos, war für die ganz normale Zeitmessung zuständig. Nach ihm wird die Uhr bis heute auch Chronometer genannt. Der andere Zeitgott aber, Kairos, war die göttliche Verkörperung für die Gunst der Stunde, die es zu ergreifen gilt. Doch das ist gar nicht so einfach, denn Kairos hat nicht nur Flügel an den Füßen, die ihn schnell wie der Wind durch unser Leben sausen lassen, sondern auch eine ziemlich tückische Frisur: Vorn vor der Stirn hängt ihm zwar eine lange Locke, an der der richtige Augenblick gut festzuhalten ist – aber am Hinterkopf ist Kairos völlig kahl. Wer die Glückslocke also auch nur »um Haaresbreite« verfehlt, für den »ist der Bart ab« und die Chance vertan.
Des Kaisers oder der Ziege Bart?
Freunde der »Haarspalterei« versäumen gute Gelegenheiten oft deshalb, weil sie so eifrig bemüht sind, noch einmal im Längsschnitt zu halbieren, was eh nur einen Durchmesser von rund 0,07 Millimetern hat. Sie sind aber auch sehr begabt darin, ausgiebig »um des Kaisers Bart zu streiten«, ihre Zeit also mit denkbar müßigen Diskussionen vergeuden. Ein ideales Thema dafür ist zum Beispiel die Frage nach dem Ursprung dieser etwas merkwürdigen Redewendung selbst: Die einen führen den Streit um des Kaisers Bart auf ebenso unfruchtbare wie überflüssige wissenschaftliche Debatten darüber zurück, ob römisch-deutsche Kaiser wie der legendäre Barbarossa Friedrich I. auch wirklich Bartträger waren. Und, wenn ja: ob dessen namensgebender roter Bart nicht irgendwann grau oder weiß geworden sein müsste, während er jahrhundertelang in einer Höhle des Kyffhäuserbergs schlief?
Andererseits aber spottete schon der römische Dichter Horaz (65-8 v. Chr.) über Schlauköpfe, die sich »um die Ziegenwolle streiten«. Nämlich darüber, ob man Ziegenhaar eigentlich auch – wie das der Schafe – als Wolle bezeichnen könne. Im Zuge der internationalen Spruchverschleppung und Sprachverschleifung soll daraus in deutschen Munden dann zunächst ein Streit um den »Geißhaar«-Bart geworden sein, und der vernuschelte schließlich zu dem an des Kaisers Kinn.
So oder so: Meist lohnt es deutlich mehr, modernen Kaisern wie Chefs oder Vätern schmeichelnd »um den Bart zu gehen«, als Ziegen aller Art zu umgarnen.
Unbeschreiblich unweiblich?
Nicht nur der Bart, sondern auch die Kopf- und Körperbehaarung galten früher als Ausdruck der puren Manneskraft. Um das noch zu steigern, sagte man von den Tapfersten, dass sie sogar »Haare auf der Zunge« hätten. »Haare auf den Zähnen« dagegen bescheinigt man eher Frauen, die sich derart resolut und bissig durchsetzen, dass es ihnen sehr an femininem Charme gebricht. Doch darüber braucht frau sich heute »keine grauen Haare wachsen zu lassen«. Inzwischen darf sie ruhig energisch und schlagfertig sein. Derlei Rollenbilder sind ja schließlich nur »alte Zöpfe«, und die sind doch längst abgeschnitten. Oder?
Der alte Zopf, heute Inbegriff veralteter Moden, Ideen oder Verhaltensvorschriften, zierte ursprünglich wiederum die Herren der Schöpfung. Im 18. Jahrhundert baumelte er zum Beispiel eher unpraktisch an den Köpfen der preußischen Soldaten herunter; und mit der Französischen Revolution (1789) wurden die zuvor so beliebten gepuderten Herrenzöpfe zu einem derart anschaulichen Symbol geistiger Rückständigkeit, dass man sie sich lieber auch ganz konkret abschnitt.
Augenscheinlich eine Augenweide
Aufmerksame Zeitgenossen gehen »mit offenen Augen durchs Leben« und glauben nur, was sie »mit eigenen Augen sehen«. Wir »liebäugeln« mit größeren Anschaffungen und »fassen neue Ziele ins Auge«, die wir dann entweder konsequent »im Blick behalten« oder wieder »aus den Augen verlieren« …
Wohl kaum ein Sinnesorgan ist uns Menschen so wichtig wie das Auge. Das zeigt sich nicht zuletzt an einer schier unüberschaubaren Zahl von Redensarten. Auf einige davon wollen wir hier einen augenzwinkernden Blick werfen.
Flirtfaktor Nummer eins
»Um deiner schönen Augen willen« machen wir gern Zugeständnisse; vor allem dann, wenn unser Gegenüber uns obendrein auch noch »schöne Augen macht«, also ganz verliebt ansieht, und auch sonst »eine wahre Augenweide« ist. Auf die bis heute beliebte Idee, den Anblick menschlicher Schönheit mit einer satten grünen Weide zu vergleichen, an der sich die Augen wie eine Tierherde nähren und erfreuen können, kam (um 1200 n. Chr.) bereits der mittelalterliche Dichter Hartmann von Aue.
Doch nicht nur auf der Sommerwiese »springen sie ins Auge«, die attraktiven, leicht bekleideten Damen, auf die die Herren so gern »ein Auge werfen«. Manch Jüngling guckt sich dabei geradezu »die Augen aus dem Kopf«, bis er die sprichwörtlich verlängerten »Stielaugen bekommt«. Er »zieht die Mädels mit den Augen aus« – oder »verschlingt« sie vielleicht sogar via Sehorgan!
Dezente Naturen beschränken sich jedoch auf einen verstohlenen, heimlichen Blick. Doch auch dabei »riskieren sie ein Auge« – ganz wie die Ritter im Mittelalter, die mit aufgeklapptem Visier in den Turnierkampf ritten, weil sie mit ungeschützten Augen mehr erkennen konnten als durch den sicheren Sehschlitz.
Zweimal zugedrückt
Bei so viel Ablenkung der Sicht muss »das Auge des Gesetzes«, die Polizei, manchmal schon »ein Auge zudrücken« und kleine Kavaliersdelikte im Straßenverkehr wohlwollend übersehen. Im altdeutschen Bauernrecht war es sogar üblich, bevorzugte Angeklagte von einem einäugigen Büttel auf einem einäugigen Pferd vor Gericht laden zu lassen, um ihnen schon vorab ein mildes, nachsichtiges Urteil zu signalisieren.
Justitia, die Symbolfigur der Gerechtigkeit, ist ja sogar »auf beiden Augen blind«: Sie trägt eine Binde davor, um ohne Ansehen der Person immer fair zu urteilen.
Kopfnüsse
»Kopf hoch!« Diese Aufmunterung kann man getrost wortwörtlich nehmen. Denn nur der, der etwas »erhobenen Hauptes« tut, handelt mit Stolz, Selbstachtung und Würde. Wer dagegen »den Kopf hängen lässt« (und die Schultern meist noch dazu), zeigt schon durch seine Körperhaltung, dass ihm das Leben eine Last ist, der er sich nicht gewachsen fühlt. Genauso konkret ist es auch gemeint, wenn wir »jemandem etwas direkt auf den Kopf zusagen« oder wenn zwei Tratschtanten »die Köpfe zusammenstecken«, um miteinander zu tuscheln. Und natürlich: Wenn man wirklich ein solides hölzernes »Brett vor dem Kopf« hätte, sähe man in der Tat gar nichts mehr – auch die naheliegendsten Dinge nicht.
Diese Redewendung wurde jedoch nicht von Menschenköpfen, sondern von Ochsenköpfen inspiriert. Den Ochsen nämlich hängten die Bauern früher tatsächlich ein Brett vor die Augen, wenn sie als Zugtiere ins Joch gespannt wurden. So ließen sich die störrischen Tiere leichter führen und waren weniger schreckhaft.
Nie das Brett in den Sand stecken!
Die Tierwelt stand auch Pate, wenn wir jemanden mit den Worten »Nun steck' doch nicht gleich den Kopf in den Sand!« dazu ermutigen, sich unangenehmen Tatsachen zu stellen: Schon in der Antike unterstellte man dem Vogel Strauß die Feigheit, bei Gefahr einfach seinen Kopf im Sand zu vergraben, weil er meine, dann nicht gesehen zu werden. Tatsächlich aber haben die Menschen das Verhalten des Tieres einfach nur ungenau beobachtet und falsch interpretiert: Bedingt durch Luftspiegelungen oder hohes Gras scheint es von ferne so, als verschwindet der Straußenkopf in der Erde, wenn die Vögel etwas vom Boden aufpicken. Zoologisch korrekt ist aber nur, dass Strauße sich bei Gefahr flach über ihr Nest werfen, um es zu tarnen.
Was hat mein Kopf auf dem Kasten?
Im Mittelalter stellte man sich das Herz, den Magen und andere Körperbereiche als eine Art Kasten im Körper vor – und noch heute sprechen wir ja vom »Brustkasten«.
Auch die menschliche Stirnregion wurde »kaste« genannt. Sie galt also als eine Art Schatzkästlein, in dem das gesamte persönliche Wissen versammelt ist; eben alles, was man so »auf dem Kasten hat«.
Seit Anbruch des Computerzeitalters neigen wir jedoch eher dazu, den Kopf (respektive das Hirn) als eine Art körpereigene Festplatte zu begreifen; und mit der kann allerlei passieren! Ungewollte Datenverluste etwa haben zur Folge, dass wir uns als »Hohlkopf« fühlen, der etwas Wichtiges gerade »einfach nicht im Kopf hat«. Wenn wir dagegen »den Kopf schon völlig voll haben« mit einer bestimmten Aufgabe, dann erreicht unsere natürliche Speicherkapazität ihre Grenze: Uns geht einfach »nichts mehr in den Kopf«. Schlimmstenfalls »raucht der Kopf« sogar – was bei elektronischen Geräten ja wirklich sehr bedenklich wäre! Bevor man darüber zu einem »Hitzkopf« wird, der blindlings »mit dem Kopf durch die Wand« rennt, ist es klüger, sich weitere Pläne »aus dem Kopf schlagen« (also bewusst darauf zu verzichten) und erst einmal »herunterzufahren«.
Die inneren Wortwerte
Wer aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, der bekommt auch keine Probleme, wenn andere Menschen ihn »auf Herz und Nieren prüfen« …
Von Herzen!
Die sprichwörtliche Idee, »aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen«, also frei und offen zu sagen, was einen gerade beschäftigt, belastet oder stört, hat vor allem der Fürst und Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) populär gemacht. Doch schon Martin Luther (1483-1546) erwähnte diese Grube in Verbindung mit der Tempelaustreibung (Jeremias 7,11). »Mördergrube«, war früher nämlich ganz einfach ein anderes Wort für »Räuberhöhle« - und damit für einen Ort, an dem sich sehr zwielichtige, wenig vertrauenserweckende Gestalten und Pläne herumtreiben.
Oder von Leber?
Wenn einem also etwas wirklich sehr »an die Nieren geht«, dann sollte man »frei von der Leber weg sagen«, was da gerade »Bauchschmerzen macht«; beziehungsweise: welche Laus einem über die Leber gelaufen ist.
Warum ausgerechnet über die Leber? Warum nicht übers Herz oder durch den Kopf? Im Altertum und im Mittelalter waren die Gelehrten der Ansicht, dass das Temperament des Menschen seinen Wohnsitz in der Leber habe. Man meinte, dass in diesem Organ die Gefühle »produziert« würden: die Liebe, die Trauer … und vor allem auch Wut und Zorn.
Allerdings sagte man daraufhin zunächst nur, dass jemandem »etwas« über die Leber gelaufen sei. Die Laus kam erst später dazu. Durch das doppelte »L« ergab sich nun ein einprägsamer Stabreim – und zugleich ließ das Krabbeltier den Anlass des Ärgers als zwar unangenehm, aber auch eher klein und nichtig erscheinen.
Gewurschtel im Nachhinein
Ob mit oder ohne Laus: Beleidigt ist also die Leber als Sitz des Gemüts. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war dies eine verbreitete Vorstellung. Heutzutage aber ist ein Fleischereiprodukt beleidigt.
Die Wurst wurde erst im späten 19. Jahrhundert an die Leber gehängt, als man mit der Vorstellung vom Gefühlsorgan nichts mehr anfangen konnte. So entstand das drollig-spöttische Sprachbild für einen Menschen, der sich – mehr oder minder grundlos – gekränkt fühlt und vor sich hin schmollt.
Um zu begründen, warum es in diesem Sprichwort nun plötzlich um die Wurst geht, wurde zusätzlich noch eine kleine Geschichte erfunden: Ein Metzger kochte verschiedene Würste zusammen in einem Kessel und nahm sie nacheinander heraus, sobald sie fertig waren. Die Leberwurst aber musste von allen am längsten kochen und blieb schließlich als einzige zurück. Und daraufhin war sie nicht nur sehr beleidigt … sie platzte am Ende sogar vor Wut!
Das schöne Händchen und der falsche Fuß
Um »mit Händen und Füßen zu reden«, brauchen wir nicht wild herumgestikulieren. Zunge und Stimmbänder reichen völlig aus, um »händeringend nach einer Lösung zu suchen« oder »jemandem aus der Hand zu fressen«, damit man dann »auf gutem Fuß mit ihm steht«.
Beraubte Ritter
Wer sagt, dass etwas »Hand und Fuß hat«, meint heute eher abstrakt, dass eine Idee oder Sache so vollständig durchdacht ist, dass es ihr an nichts fehlt. Für die Ritter des Mittelalters allerdings hatte diese Wendung noch eine sehr konkrete Bedeutung: Um kampfbereit zu sein, brauchten sie auf jeden Fall die rechte Hand, die üblicherweise das Schwert führte – und den linken Fuß, mit dem sie zuerst in den Steigbügel ihres Schlachtrosses traten. Bei schweren Vergehen sah die damalige Rechtsprechung jedoch durchaus vor, diese beiden wichtigen Gliedmaßen kurzerhand abzuhacken und dem Delinquenten so seine gesamte Leistungsfähigkeit zu rauben.
Links? Rechts? Oder je nachdem?
Derart ausgewogen ist das sprichwörtliche Verhältnis zwischen Links und Rechts allerdings längst nicht immer. Wer etwa »mit dem falschen Fuß aufgestanden«, also ausgesprochen schlecht gelaunt ist, hat seine miese Stimmung deshalb heraufbeschworen, weil er zuerst mit Links aufgetreten ist; denn Links ist alten abergläubischen Vorstellungen zufolge prinzipiell die Seite, aus der das Unheil kommt.
Umgekehrt fordern manche Großeltern die Kinder noch heute auf: »Gib der Tante das schöne Händchen« – und meinen damit selbstredend das rechte. Kein Problem für den Großteil der Weltbevölkerung, die sich ja überwiegend aus Rechtshändern zusammensetzt.
Was aber, wenn man nun gleich »zwei linke Hände hat«, also ziemlich ungeschickt ist? Nun, das sollte in unserer toleranten modernen Gesellschaft auch kein Problem mehr sein, denn inzwischen findet es ja durchaus Anerkennung, wenn jemand »etwas mit links machen« kann – also mit besonderer Leichtigkeit, »ganz locker aus dem Handgelenk heraus«.