So kommt's zum »Vorschwein« ...

Lustig und entlarvend zugleich: Freud‘sche Versprecher und andere Alltagspannen – warum passieren sie uns so oft und so gern?

   

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Ups!


Wenn jemandem etwas ganz anderes über die Lippen rutscht, als er eigentlich sagen wollte, dann ist das oft ganz einfach nur herzerfrischend lustig. Doch seit der Wiener Arzt und Psychoanalytiker Sigmund Freud dieses Phänomen wissenschaftlich unter die Lupe genommen hat, stehen Versprecher in dem Ruf, viel, viel mehr über den Sprecher zu verraten, als diesem lieb und recht ist ...

In seiner 1901 veröffentlichten Psychopathologie des Alltagslebens liefert Sigmund Freud viele anschauliche Beispiele dafür, wie solche vielsagenden Versprecher zustande kommen. »Dann aber sind Tatsachen zum Vorschwein gekommen ... « etwa sagt ein Mann, während er über Vorgänge berichtet, die er innerlich schlicht für Schweinereien hält. So direkt will er das jedoch – eigentlich – nicht sagen. Sein Versprecher bringt aber dennoch klipp und klar zum Vorschein, was er wirklich denkt und meint.

Sätze wie dieser sind also nur scheinbar misslungen und sinnlos, tatsächlich haben sie im Gefüge unserer Psyche sehr viel Sinn, sagt der Begründer der Psychoanalyse. Hier nämlich melden geheime, ins Unbewusste verdrängte Gedanken und Wünsche mit Wortgewalt ihr Recht an. Im Versprecher gehen das bewusst erlebende und handelnde, ganz auf die Realitäten und Vorgaben der Umwelt bezogene »Ich« und die aus dem »Es« kommenden persönlichen Triebregungen dann einen spontanen Kompromiss ein. Man setzt sich sozusagen über eine psychische Zensur hinweg, die man selbst sich auferlegt hat.

   

»Da ging mir ein Groschen auf!«


Längst nicht jeder Versprecher ist jedoch gleich eine echte »Freud'sche Fehlleistung«. Die meisten von ihnen hängen eher mit den Untiefen der Sprache als mit dem Untiefen der Seele zusammen. In ihrem Buch Reden ist Schweigen, Silber ist Gold (1993) führt die Frankfurter Linguistik-Professorin Helen Leuninger zahlreiche Beispiele für solche harmlosen Fälle an. Sie ergeben sich meist schlicht daraus, dass man zwei einander sehr ähnliche Silben- oder Wortstrukturen vertauscht oder zwei Redensarten miteinander vermischt. So entstehen dann so rührende Liebeserklärungen wie »Du bist mein Ein und O!«, Anstandsregeln wie »Man isst nicht mit vollem Munde!« oder Lebensweisheiten wie »eine Krähe wäscht die andere«.

   

»Das sind doch alles nur Probleme wie du und ich


Etwas verfreudlicher - pardon, verfänglicher natürlich! - wirken da schon Bemerkungen wie »Sei ganz unberuhigt!«, »Die Dame reizt nicht mit ihren Geizen!« oder »Ich sehne mich nach hormonischen Stunden zu zweit!« Gerade erotische Bedürfnisse, Wünsche und Fantasien nämlich werden laut Sigmund Freud oft nicht klar ausgesprochen, weil Ich ja nicht unanständig wirken will. Dem Es aber sind die gesellschaftlichen Spielregeln der Sittlichkeit völlig egal, Es platzt per Versprecher sehr gern munter mit seinem Verlangen heraus – oder auch damit, dass Es jemanden zutiefst »liebenswidrig« findet, obwohl Ich doch gerade etwas von »liebenswürdig« heucheln wollte.

   

   

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»Wir sollten pfleglicher miteinander untergehen!«


Im Geschäftsleben, in der Politik oder auf öffentlichen Veranstaltungen ist es besonders peinlich, wenn einem das eigene Unterbewusstsein einen für jedermann hörbaren Streich spielt.

So erging es laut Freud zum Beispiel einem Präsidenten des österreichischen Abgeordnetenhauses, der eine Sitzung, von der er sich wohl nichts Gutes versprach (oder zu der er vielleicht auch nur schlicht keine Lust hatte) mit den Worten eröffnete: » ... und erkläre somit die Sitzung für geschlossen

Ebenso ehrlich ist Es, wenn man Vorstands- beziehungsweise Ausschussmitglieder bei Geldbedarf gleich zielgerichtet als »Vorschussmitglieder« anspricht oder ein Meeting mit den Worten abrundet: »Ich werde jetzt noch einmal resignieren ...« (statt: »resümieren«).

Hintergründige Bemerkungen wie: »Also, wenn Sie unser Misstrauen verbrauchen wollen ...« können Verhandlungen durchaus belasten, aber: »Wir stehen natürlich rückgratlos hinter Ihnen!« Rückhaltlos auch? »Vergessen Sie, mich daran zu erinnern!« sagt da der schon zu Genüge gestresste Chef oder Arbeitskollege - und sein Unterbewusstsein vergaß wohl ganz bewusst das Wörtchen »nicht«?

Auf Betriebsfeiern kann einem ebenfalls allerlei herausrutschen. Zum Beispiel ein kleiner »Stinkspruch« wie: »Ich fordere Sie nun auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßen!«

   

Wie die Veronika den Weg nach Verona versperrte


Der Versprecher - vornehmer auch »Lapsus linguae« genannt - ist jedoch nur eine von zahlreichen Freud'schen Fehlleistungen im Alltag. Auch durch Verhören, Verschreiben oder ein vorübergehendes Vergessen von vorhandenem Wissen kann allerlei »zum Vorschwein« kommen.

So berichtet Freud zum Beispiel von einem Mann, dem der Ortsname Verona partout nicht einfallen wollte - sehr wahrscheinlich deshalb, weil er gerade mit einer massiven Abneigung gegen eine Frau namens Veronika zu kämpfen hatte. Der Name des Freud-Kollegen C. G. Jung dagegen war ausgerechnet einer 39jährigen Dame komplett entfallen, der das eigenen Altern gerade sehr zu schaffen machte ...

Doch auch durch handfeste Taten machen sich unsere wahren Empfindungen gern bemerkbar. Wer zum Beispiel Gegenstände verliert oder durch Ungeschicklichkeit zerstört, will sie unterbewusst tatsächlich oft wirklich lieber loswerden? Doch manchmal kann »versehentliches« Kaputtmachen nach Freud auch als ein unbewusstes Opferritual gedeutet werden, das man für die Einlösung eines persönlichen Wunsches erbringt.

   

»Ich will da jetzt kein Brett mehr vor den Mund nehmen!«


Aus dem Urgrund der Seele dringen also – via Freud'sche Fehlleistungen – allerlei schlüpfrig-verfängliche oder auch magische Vorstellungen in den nüchternen Alltag. Doch manchmal halten sie auch einfach nur sehr rührende und liebevolle Botschaften bereit: Wenn Sie sich zum Beispiel an einer fremden Wohnungstür dabei erwischen, dass Sie Ihren eigenen Schlüssel zücken, statt zu klingeln, dann sagt Es in Ihnen: »Bei diesen Menschen fühle ich mich so richtig zuhause!«

Doch was macht man nun, wenn einem selbst ein wahrlich bemerkenswerter »peinlicher Freud'scher« passiert ist? Fallen Sie daraufhin nicht gleich »aus allen Socken«! Schenken Sie sich selbst und den übrigen Anwesenden lieber »reinen Tisch ein«! Welche wahre Meinung, welche verdrängten Bedürfnisse oder welche inneren Konflikte könnten Sie da aus tiefster Seele zu einem Versprecher oder einer Tollpatschigkeit getrieben haben? Bringen Sie so ehrlich wie möglich auf den Punkt, was da wohl unbedingt zur Sprache kommen wollte! Das gibt Sympathiepunkte – und hilft oft sehr dabei, sich selbst und einander besser zu verstehen. Und nehmen Sie das, was Ihnen da »in einem Abfall geistiger Anwesenheit« herausgerutscht ist, auf jeden Fall mit Humor: »Das war doch wieder mal ein richtig schöner Verbrecher!«

   


Vielen Dank für Ihr Interesse! Dieser hier in einer im Februar 2013 überarbeiteten und ergänzten Fassung veröffentlichte Text erschien ursprünglich im mein coop magazin/Februar 2011, für das er im Auftrag der Kieler Werbeagentur WortBildTon GmbH verfasst wurde.
Fotos: © Michaela Mundt

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